1996 – Bonn

Jahrestagung des Industrieökonomischen Ausschusses, 11.–12. März 1996

Die Sitzung fand vom 11.-12. März 1996 in Bonn statt. Die lokale Organisation hatte Prof. Dr. Horst Albach übernommen. Es wurden folgende Referate gehalten:

  • Susanne Wähling und J. Matthias Graf von der Schulenburg, (Hannover) befassten sich mit der Regulierung des Arzneimittelmarktes und kamen zum Schluss, dass "staatliche Eingriffe in Form einer prozentualen Selbstbeteiligung, eines Arzneimittelbudgets oder eines Preismoratoriums" nicht ausreichen, die Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren. Sie ziehen die Folgerung, dass diese Regulierungsinstrumente nicht genügen. Die Autoren verlangen eine Neuorientierung, wobei das Ziel darin bestehen sollte, die Bereitstellung und Finanzierung der Arzneimittel "aus einer Hand" zu gewährleisten. Zwischen dem Arzt und den Patienten wäre in Zukunft ein "Pharmaceutical Benefit Manager" zu setzen, dessen Handeln nach Auffassung der Autoren wirtschaftlich bessere und medizinisch hoffentlich nicht schlechtere Ergebnisse brächte. Auf eine modellmäßige Überprüfung dieser Alternative wurde verzichtet.
  • Charles B. Blankart (Berlin) und Günter Knieps (Freiburg i.Br.) behandelten die Regulierung von Netzen. Die von Blankart und Knieps gestellte Frage nach den Vor- und Nachteilen einer umfassenden Deregulierung von Versorgungsnetzen wurde differenziert beantwortet. Die Autoren kamen zum Ergebnis, dass ein Restregulierungsbedarf fortbesteht und zwar dort, wo sich in sog. "Bottleneck-Bereichen" Markt- bzw. Staatsmacht breit macht. Die Autoren befürworteten somit einen Ansatz der "disaggregierten Regulierung".
  • Gegen die Deregulierung von Versorgungsnetzen wird immer wieder eingewandt, sie stehe dem Ziel der flächendeckenden Versorgung entgegen. Die Autoren befassten sich mit den Möglichkeiten, diesen Widerstand zu überwinden. Am Beispiel der Telekommunikation wurde dargelegt, dass ein fondsfinanziertes Ausschreibungsverfahren eine Deregulierung auch in solchen Fällen konsensfähig werden lässt. Mit diesen weiteren Überlegungen zur politischen Ökonomie der Deregulierung und mit einem kritischen Blick auf das neue Telekommunikationsgesetz wurde der Beitrag abgeschlossen.
  • Fritz Rahmeier (Augsburg) stellte sich dem Thema der Privatisierung und Deregulierung der Deutschen Bundesbahn. Er überprüfte, inwiefern die Bahn die typischen Merkmale einer Infrastruktur erfüllt. Vor allem die Unteilbarkeiten bzw. die hohen Fixkostenanteile rechtfertigen grundsätzlich regulatorische Eingriffe. Doch zeigt die Erfahrung in den USA, dass eine Deregulierung auch unter solchen Umständen vorteilhaft sein kann. Da die Regulierung des Verkehrswesens in Deutschland traditionell enger ist als in den USA, erscheint in Deutschland die Deregulierung und Privatisierung sogar besonders angezeigt. Beides wird durch die sog. Bahnreform angestrebt, welche nach ihrem ersten Jahr von Rahmeier als "zufriedenstellender Beginn" beurteilt wurde.
  • Neben den Fragen zur Regulierung stellen sich die Industrieökonomen mehr und mehr auch Fragen der Handelspolitik. Harald Wieses (Leipzig) Beitrag zur strategischen Handelspolitik für Netzeffektgüter war dafür ein Beispiel. Von Netzeffekten wird gesprochen, wenn die Nachfrage positiv vom erwarteten Absatz abhängt. Wieses Arbeit war theoretischer Natur. Der Autor kam unter anderem zum Ergebnis, dass sich die handelspolitische Förderung von Netzeffektindustrien nicht lohnt, wobei er allerdings klarstellte, dass dieses Ergebnis - wie könnte es auch anders sein - stark von den getroffenen Modellannahmen abhängt. Umso willkommener war der Hinweis des Autors auf empirisch testbare Hypothesen, welche vorläufig aber noch nicht weiter überprüft worden sind.
  • Günter Lang (Augsburg) setzte sich mit der Frage auseinander, inwiefern sich die Effizienz deutscher Banken voneinander unterscheidet bzw. inwiefern sich die Rentabilitätsunterschiede zwischen den Banken und Veränderung von deren Marktanteilen auf die festgestellten Effizienzunterschiede zurückführen lassen. Diese empirische Untersuchung zeigte verschiedene Zusammenhänge je nach untersuchter Bankengruppe. Die Arbeit steht als ein Beispiel für den Versuch der empirischen Industrieökonomik, mit ökonometrischen Methoden die Qualität des Wettbewerbs in einem gegebenen Markt zu analysieren. Lassen sich Rentabilitätsunterschiede und Marktanteilsveränderungen primär auf Effizienzdifferenzen zurückführen, spricht dies dafür, dass die Marktkräfte im Sinne der theoretischen Erwartungen wirken. Bleibt der Einfluss der Effizienzunterschiede dagegen gering, müssen andere wettbewerbspolitische Schlüsse gezogen werden. Die Resultate von Langs Untersuchung stützen die Vermutung, wonach sich die Struktur des untersuchten Teils des Bankensektors primär nach der Effizienz der Banken richtet, nur zu einem kleinen Teil.
  • Dietmar Harhoff (Mannheim) befasste sich mit einer empirischen Analyse der Finanzierungsrestriktionen deutscher Unternehmen in Forschung und Entwicklung. Die Panel-Datenbasis betraf die Jahre 1987-1994. Dabei zeigte sich, dass die Forschungs -und Entwicklungsausgaben Finanzierungsrestriktionen stärker unterworfen sind als Investitionen in Realkapital. Die Restriktionen sind auch in größeren Unternehmen zu beobachten, allerdings sind sie in kleineren ausgeprägter. Ausgeprägter ist auch die Bereitschaft kleinerer Unternehmen, ihre Forschungs -und Entwicklungsausgaben und die Investitionen in Realkapital im Zeitverlauf neuen Gegebenheiten anzupassen. Insgesamt bestätigen die Resultate, dass das theoretisch zu erwartende Problem asymmetrischer Informationen in der Praxis nicht leicht zu lösen ist.
  • Einem Hauptthema der Industrieökonomik, der Wettbewerbspolitik, war schließlich der Beitrag Dennis C. Muellers (Wien) gewidmet. Aufgrund einer Analyse der US-amerikanischen Wettbewerbspolitik der letzten Jahrzehnte kam der Autor zu verschiedenen Feststellungen, die auch Anregungen für die europäische Politik bergen. Der Erkenntnis, wonach antikompetitive Verhaltensweisen Effizienzgewinne bringen können, stellte er die Bemerkung entgegen, dass die Rentseeking-Literatur zeige, dass der Wechsel vom Preis- zum Nichtpreiswettbewerb insbesondere dann Effizienzverluste provozieren würde, wenn die Unternehmen andere Zielsetzungen als die Profitmaximierung verfolgen. Daraus schließt Mueller, dass immer dann, wenn z.B. Unternehmenszusammenschlüsse antikompetitive Folgen aufweisen, den Firmen die Last zu übertragen wäre, zu beweisen, dass die Effizienzvorteile den Schaden für den Wettbewerb deutlich übersteigen.
  • Was die Lehren aus der US-amerikanischen Wettbewerbspolitik für Europa betrifft, warnte Mueller davor, den Fehler der USA zu wiederholen, der darin bestand, einerseits strikte Kartellregeln zu beachten und andererseits Unternehmenszusammenschlüsse nur geringfügig zu kontrollieren. Daraus, dass in Europa die Zusammenschlusswelle erst bevorstehe, leitete Mueller eine Chance für die Europäische Union ab. Sie könne die nötigen Maßnahmen gegen ein Überborden antikompetitiver Zusammenschlüsse zeitgerecht ergreifen.